Wesentliche Erkenntnisse und Einsichten klingen anfangs scheinbar zu banal, um ihnen leicht zuzustimmen. Im Umgang mit Menschen im Autismus-Spektrum erreichen wir oft Grenzen. Es sind aber nicht nur jene der Betroffenen, sondern vor allem unsere eigenen. Lernen wir nicht damit umzugehen, die Situationen zu kontrollieren und Handlungskonzepte zu entwickeln, kippt das System leicht, es wird chaotisch. Der Schluss könnte gezogen werden, mit jenem Menschen, unserem pädagogischen Gegenüber, ist Arbeiten letztlich unmöglich. Es besteht die Gefahr, zu erwarten, dass die Menschen, in deren innerer Struktur eine „Behinderung“, ein Anderssein, eine andere Wahrnehmung und daher ein anderes Empfinden verankert ist, haben sich zu ändern und ihr Verhalten endlich dem von uns erwünschten anzupassen. Wer darauf wartet und dies verlangt, muss scheitern. Nicht unser Gegenüber scheitert, sondern die Pädago*ginnen, die Eltern, die Betreuer*innen, sie scheitern.
- Was macht die pädagogische Arbeit vor allem erfolgreich?
- Die Haltung und die Einstellung der Pädago*ginnen
- Das Wollen, auch fordernde Aufgaben zu übernehmen und zu bestehen
- Eine couragierte Sicht auf das komplexe Ganze
- Eine gefestigte Persönlichkeit
- Methodenvielfalt und die Entwicklung unterschiedlicher Handlungspläne
- Pädagogischer Takt, wie ihn schon Herbart beschrieben hat (Fingerspitzengefühl)
- Planvolles Handeln für sich (und im Team) zu entwickeln und sich diese Zugänge zu eröffnen
In kritischen Situationen ist es hilfreich und befreiend, zu überlegen, wer eigentlich das Problem hat: Der Mensch, der aggressiv auftritt, verzweifelt handelt und reagiert, oder wir, die wir uns scheinbar macht- und hilflos erleben?
Das Ziel ist die Deeskalation, ehe es zur Entladung der Spannungen kommt. Wie können wir nahendes Ungemach „entschärfen“? Wesentlich ist die Gewissheit, stets die handelnde Person zu sein; dieser aktiven Rolle muss man sich bewusst sein. Auf ein Konzept zurückgreifen zu können, dem man vertraut, schafft Souveränität. Deeskalation bedeutet auch Vorausschauen, Mitfühlen und Entgegenkommen. Methodenvielfalt bringt Handlungsvielfalt. Die Ansätze in pädagogischen Systemen unterliegen wie alles einem Wandel; es gilt auch in diesem Bereich an „State oft the Art“ zu denken.
Thomas Feilbach, vom Fachdienst Autismus (Bethel.regional), zeigt auf, wie wichtig es ist, im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen, deren Funktionen besser verstehen zu lernen. Grundlage bietet hier das Verständnis, dass Verhalten grundsätzlich einen bestimmten Zweck erfüllt, um mit einer Situation, die sich dem Individuum stellt, umzugehen. Die grundsätzliche Anpassung von Anforderungen an die individuellen Möglichkeiten einer Person ist ein besonders wichtiger Baustein im Bereich der präventiven Arbeit. Viele Alltagshandlungen, sei es die Annahme von Handlungen der Pflege oder das gemeinsame Essen mit anderen in einem Raum oder auch ein Situationsübergang, wie er sich mehrmals in der Woche von der Wohneinrichtung in die Werkstatt vollzieht, stellen für viele Menschen mit Beeinträchtigungen erhebliche Anforderungen dar. Es ist darauf zu achten, dass die Anforderungen grundsätzlich aus der Perspektive der Person überdacht und an ihre Möglichkeiten angepasst werden. Hat eine Person hinsichtlich ihres Fähigkeitsprofils auffällige Tagesschwankungen, sind auch diese bei der Anforderungsgestaltung mit zu berücksichtigen.
Wichtig in der präventiven Arbeit sind Angebote und Aktivitäten, die die Person gerne macht und die sie entspannen. Dieser Faktor wird häufig dann vernachlässigt, wenn die Person sich unangemessen verhält. Die Argumentation lautet dann gelegentlich, man dürfe doch das herausfordernde Verhalten nicht noch mit etwas Angenehmen wie einem Spaziergang oder einem Kaffee „belohnen“. Es geht jedoch nicht um „Belohnen“, sondern vielmehr um die Regulierung des Erregungsniveaus. Was einem Menschen gut tut, trägt dazu bei, dass er seine Balance zurückgewinnt und sich weniger herausfordernd verhält.
Der Low Arousal-Ansatz macht die bewusste Beachtung von Anspannung und Entspannung deutlich. Ausgangspunkt ist die Grundannahme, dass die Häufigkeit und Intensität von herausfordernden Verhaltensweisen mit steigendem physiologischen Erregungsniveau (Arousal-Level) zunimmt. Umgekehrt zeigt sich, dass Menschen sich selten bis nie herausfordernd verhalten, wenn es ihnen gut geht und sie entspannt sind.
Vielleicht müssen wir in manchen Situationen buchstäblich „über unseren Schatten springen“ und es zu einer Maxime des pädagogischen Handelns machen, der Schaffung eines wohltuenden pädagogischen Klimas vermehrt Augenmerk zu schenken. Wichtig ist, dass die Maßnahmen aus einer wertschätzenden Haltung erfolgen. Ausgangspunkt sollte die Annahme sein, dass der sich herausfordernd verhaltende Mensch nicht schlechte Absichten verfolgt, sondern mit einer Situation oder situativen Anforderungen überfordert ist und im Rahmen seiner Möglichkeiten handelt. Es geht folglich darum, einen Weg zu suchen und zu beschreiten, der sich von der Suche nach vermeintlich „erzieherischen“ Maßnahmen, die in erster Linie von der Forderung nach Konsequenz geprägt ist, abwendet. Stattdessen gilt es, Hilfestellungen anzubieten, die es der Person ermöglichen, ihr Anspannungsniveau zu regulieren, so dass sie selbst wieder Kontrolle über die überfordernde Situation und ihr Verhalten zurückgewinnt. Das geschieht in erster Linie dadurch, dass die Anforderungen angepasst und den Stress reduzierende Angebote gemacht werden.
Wesentlich ist auch, den Pädago*ginnen kontinuierlich fachliche und emotionale Unterstützung zu gewähren. Die Entwicklung und erst recht die Umsetzung der präventiven und deeskalierenden Maßnahmen ist ein lang andauernder Prozess, der immer wieder mit allen Beteiligten reflektiert werden muss. Dieses ist fachlich notwendig und gehört zu einer Kultur der Wertschätzung der Begleitpersonen und ihrer Arbeit. Wenn alle getroffenen Maßnahmen ineinandergreifen, kann dauerhaft eine unter ethischen und fachlichen Gesichtspunkten qualitativ gute Begleitung von Personen mit herausfordernden Verhaltensweisen gelingen.