Es klingt fast banal, dennoch muss es bewusstgemacht werden: Wahrnehmung ist von individuellen Voraussetzungen bestimmt und folglich sehr different. Zudem verbergen sich zumindest zwei Wahrnehmungsrichtungen. Die Wahrnehmung von Menschen mit autistischen Eigenschaften einerseits und wie wir, die „Nicht-Autisten“, neuerdings Neurotypische genannt, diese Menschen wahrnehmen. Also sollten wir versuchen zu überlegen, wie Menschen im Autismus-Spektrum die „Welt wahrnehmen“.
Nur der bewusst vollzogene Perspektivenwechsel eröffnet neue Sichtweisen. Und bald wird klar, es gibt keine Gewissheit, kein absolutes Wissen! Wie leicht übersehen wir, dass die Menschen um uns herum ihre eigenen Wirklichkeiten konstruieren – und jeder von uns macht das auch. Was ist gut? Was ist schön? Was gefällt? Alles ist relativ und es kommt immer auf den eigenen Standpunkt an.
Will man sich die „autistischen Welten“ eröffnen, ist Behutsamkeit gefragt und das Wollen, Impulse wahrzunehmen und für die Kommunikation zu nützen, wie es Patricia Marchart anschaulich macht (vgl. Patricia Marchart: Autistische Welten, Löcker Verlag, 2017). Folgt man diesen Ansätzen, wird rasch klar, dass Autismus keine Krankheit im herkömmlichen Sinn ist. Autismus ist gekennzeichnet von ganz bestimmten, individuell gefärbten Formen und Arten der Wahrnehmung, die ganz offensichtlich anders sind als die Mehrzahl der Menschen es erwarten würde. Je mehr man davon weiß, umso deutlicher wird, wie groß das Nichtwissen bleiben muss. Autismus an sich ist nicht heilbar. Mitfühlend „Sehende“ können allerdings Türen in unsere Welt und unsere Gesellschaft eröffnen. Gewalt ist keine Lösung, erst recht im Umgang mit autistischen Menschen, Zwang führt zu nichts, nur Wertschätzung und Liebe schaffen Zugang zu Menschenwürde und einem lebenswerten Leben. Ändern wir allein – und sei es nur um Nuancen – unseren Zugang bewusst, können wir letztlich „Welten“ verändern.