Ein Aufruf zur Solidarität in Zeiten des Umbruchs

Nicht nur Autisten scheuen Änderungen und fürchten oft Neues. Auch wir, die Nichtautisten, kennen dieses Gefühl, dass Veränderungen sehr oft mit Verschlechterungen, neuen Hemmnissen und bedrohlichen Situationen einhergehen. Ein spezielles Kennzeichen vernetzter Systeme ist, dass die einzelnen Elemente untereinander in Beziehung stehen und einander beeinflussen. Bewusste Änderungen an einer Stelle führen folglich häufig zu unbewussten und unbeabsichtigten Änderungen an anderen Positionen. Im günstigen Fall besteht die Chance, unerwünschte Ergebnisse zu korrigieren.

Derzeit wird die Gesellschaft von einer Phase bedeutender Umbrüche beherrscht; das spüren und fühlen viele von uns. Dabei ist es von vornherein nicht klar, welche Auswirkungen einzelne Maßnahmen im Konkreten auf jeden von uns haben werden. Klar ist auch nicht, ob etwas gut oder nicht gut ist. Alles ist relativ und es kommt darauf an, aus welcher Perspektive etwas betrachtet wird. Sparmaßnahmen sind grundsätzlich vernünftig, aber es stellt sich die Frage, wie gespart wird und auf wessen Kosten.

Große Unsicherheit herrscht derzeit bei jenen, die Anspruch auf eine erhöhte Familienbeihilfe haben. Wer wird den Anspruch darauf verlieren; was wird im Bereich Mindestsicherung und Dauerleistung passieren? Welche drohenden drastischen Einschränkungen werden eventuell rückgängig gemacht und welche „Reparaturen“ werden tatsächlich vorgenommen?

Auch die Sparmaßnahmen der Gemeinde Wien haben nachhaltige Auswirkungen im Behindertenbereich. Die Anhebung der Tagsatzzahlungen weit unter der Inflation hat uns schon im letzten Jahr unter Druck gesetzt; droht neuerlich eine Untervalorisierung? Kann trotz des gewaltigen Bevölkerungswachstums in Wien die Haltung aufrecht gehalten werden, keine weiteren Betreuungsplätze schaffen zu lassen?

Im Umbruch befindet sich auch die Behindertenpsychiatrie. Welche Warten werden bei der Neugestaltung bezogen und berücksichtigt? Ohne die Fähigkeit, den Perspektivenwechsel zu vollziehen, bleibt die Warte der Betroffenen unberücksichtigt. Ohne Einbeziehung heilpädagogischer Aspekte werden die gesellschaftlichen Umbauten kalt bleiben und in vielen Fällen allein die Warten der Handelnden betonen. Es ist daher nötig, dass auch die Betroffenen und ihre Angehörigen aktiv werden. Auf Solidarität zu hoffen ist zu wenig. Aktiv werden – in einer Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung – ist ein Gebot der Stunde. Bitte unterstützen Sie uns!

Dr. Anton Diestelberger,
Obmann von Rainman’s Home
12. November 2018

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